Marco Spitzar: Eine Frage der Größe
Organisch wachsend
Alles ist relativ. Dieser scheinbar so banale Satz birgt Weisheiten in sich, die menschliches Leben in großem Maße beeinflussen, seit er ausgesprochen wurde. Albert Einstein hat damit seine Relativitätstheorie, die der Wissenschaft ein neues Feld, innovative Denk- und Sichtweisen eröffnet hat, auf einen Punkt gebracht. Doch dieser Satz – klein und einfach in seinen semantischen Bestandteilen, groß in seiner Bedeutung – fordert seine Berechtigung nicht nur in der Wissenschaft, sondern strahlt auch in die Bereiche der Kunst und unseres täglichen Lebens und erhält dadurch eine Größe, die nicht immer fassbar ist.
Auf diesem Hintergrund sind Marco Spitzars Arbeiten zu verstehen. Nicht das einzelne Kunstwerk der Werkschau ist das Artefakt, das den Betrachter in seinen Bann zieht, um ihn wieder zum nächsten Bild zu entlassen, sondern es steht in Beziehung zum Gesamthaften. Wie ein Organismus bezieht es sich auf andere Werke, stellt sich in einen neuen Kontext und erfindet sich dadurch neu. So vereinigt Spitzar in seinen Arbeiten mehrere Ebenen miteinander: Da ist zum einen der kreative Schaffensprozess, der den Künstler dazu bringt, sich eines Gegenstandes der Welt anzunehmen, der ihn in seiner ihm eigenen Realität gefangen nimmt.
Das Gesamtkunstwerk
Doch anders als viele seiner Kollegen sind das Entdecken, das Skizzieren, das Modellieren nur eine Facette seines Kunstwerks. Wer also glauben möchte, der kreative Prozess wäre mit der vermeintlichen Fertigstellung eines – in diesem Sinne – profanen Bildes beendet, der befindet sich im Irrtum. Mag sein, dass Spitzar sein Werk, das er in einem Moment für fertig befindet, zur Seite legt. Mag sein, dass er es – in seiner sprichwörtlichen Akribie – mit einem Rahmen versieht. Der unbeteiligte Beobachter könnte daraus wohl schließen, dass das Bild nun eben „fertig“ sei. Nicht so Marco Spitzar.
Die entstandene Darstellung ist lediglich ein Teil eines Gesamtkunstwerks, das von Beziehungen lebt, in Dialogen pulsiert. Und das ist die zweite Ebene: von Beziehung zueinander, miteinander, nebeneinander. Spitzar scheut sich nicht, ein einmal entstandenes Ensemble zu zerstören, ihm einen neuen Kontext zu geben. Dabei sind ihm weder die Materialien des Rahmens noch das Bild selber wichtig.
Durch Hinzufügen, Verbinden oder Entfernen einzelner Elemente wird es in einen neuen Zusammenhang gesetzt und eröffnet so dem Betrachter Zugänge, die bis dato verschlossen sind. Das kann durch eine simple Applikation, die am Bild befestigt wird, geschehen, er kann aber auch so weit gehen, dass er einzelne Artefakte zusammenfügt – geklebt, geheftet, drapiert – und so den Betrachter vorwärtstreibt. Stillstand ist damit sowohl für den Künstler als auch für den Rezipienten nicht möglich. Spitzar zwingt den Zuseher in neue Welten, sie optisch und sensual wahrzunehmen, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Kontexte verändern
Und so verändert sich der Stellenwert des einzelnen Werkes immer wieder aufs Neue. Es kommt dabei nicht auf die Größe der Darstellung an, wichtig ist vielmehr der Kontext. Auf diese Weise ergeben sich aus Spitzars Arbeiten vielschichtige Aussagen: Zum einen sprechen singuläre Motive und Darstellungen für sich. Figurativ, puristisch, klar, aber doch geheimnisvoll und mit Geschichten aufgeladen hängen sie da und erwarten den Besucher, um ihm ihre Erlebnisse preiszugeben, um ihn in ihre Geheimnisse einzuweihen und sich in seinem Kopf festzusetzen. Das Werk spricht für sich.
In einem zweiten Schritt fügt es sich in seine Umgebung, ist verlinkt durch einen sichtbaren oder unsichtbaren Anker und streckt seine Arme nach der Welt aus, um mit ihr in Verbindung zu treten, gleich einem Organismus, der sich den Weg in eine neue Realität bahnt. Und dann ist da die dritte Dimension, die sich durch die Kombination einzelner Teile ergibt: das Arrangement, das sich durch Zufall oder bewusst entwickelt. Der Betrachter, der diese Dimension erkennt, bleibt stehen, in der Mitte des Raumes, lässt die Welt des Künstlers, die langsam von ihm Besitz ergreift, auf sich wirken. Wer sich Zeit nimmt, diese Verflechtungen zu erkennen, befindet sich nach kurzer Zeit in der Welt von Marco Spitzar: Sein Gesamtkunstwerk ist Teil des uns umgebenden Kosmos‘, der dem Künstler den Stempel mit all seinen Facetten aufgedrückt hat. In seiner Größe relativ.
Text: Mag. Dr. Klaus Feldkircher